Eine Reise durch Altona 2013

Wie sieht ALTONA MACHT AUF! aus, wenn man mit einer goldenen Fahne in der einen und mit einem Megafon in der anderen Hand 200 Menschen von Sehnsuchtsfenster zu Balkontheater führt? Bente Varlemann, Autorin und AMA!-Coach, hat es aufgeschrieben:

Schweigen ist Silber – Aufmachen ist Gold.

Die Sonne scheint an diesem Tag Ende Juni, ich bin ausgestattet mit HipBag (das mehr eine praktische Tasche um die Hüfte ist als „hip“), Sneaker, Megafon und einer goldenen Fahne. Meine Begleiter_innen, Jürgen mit der Technik und Tania für die Einhaltung der richtigen Route und für wichtige Informationen, sind auch mit dabei. Ich kenne mich in Altona aus. Habe ich jedenfalls bis zu diesem Tag gedacht. Denn die Wege, die wir gehen, sind mir unbekannt, ich habe Angst, dass ich mich verlaufe. Vor allem weil etwa 200 Leute mir folgen und denken, ich wüsste wo´s langgeht.

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Da hängt goldener Stoff vom Balkon und ich brülle in das Megafon, dass wir jetzt gleich ein dadaistisches Gedicht sehen werden. Das ist das erste Mal, dass ich ein Gedicht sehe und nicht höre. Ein kleines Kind steht neben mir und fragt, was hier passiert. Ich antworte, dass die Leute auf dem Balkon ein Gedicht schreiben. Jeder Mensch trägt verschiedene Buchstaben, die in unterschiedlicher Reihenfolge angeordnet werden. Ich frage das Kind, ob es schon lesen kann. Das Kind bejaht und liest nun laut vor, was auf dem Balkon geschrieben wird. „Was heißt ´Sekun´?“, fragt es mich. Ich sage nachdenklich, dass ich das auch nicht weiß, wir ja aber gemeinsam überlegen können, an welches Wort uns dieser wirre Begriff erinnert. Ich sage: „ Sekunde.“. Das Kind sagt: „See komm.“. Wir schreiben von nun an unser eigenes „Sekunde- See- komm- Gedicht“, das auch noch irgendetwas mit Muskeln und Kummer zu tun hat.

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„Wir gehen weiter!“, brülle ich in das Megafon und wir halten vor den Containern an der IKEA-Baustelle. Weil Werner, ein Aufmacher, nicht da ist, stellen wir uns seine Spitzenballett-Performance zur Bachkantate einfach vor. Und klatschen anschließend. Das ist das erste Mal, dass ich für eine unsichtbare Tanzshow applaudiere. Und alle Anwesenden tun dies auch. Könnte sein, dass irgendwelche Leute, die vorbeilaufen, denken, wir würden einen Kurs zur Selbstbefreiung machen. Egal. Stimmt ja auch irgendwie.

Ich verweise kurz auf die Container-Balkone der IKEA-Bauarbeiter und sage, dass die eigentlich was aufführen wollten, nur leider sehr schüchtern sind (ich gestehe, dass ich gelogen habe, denn sie wollten nie irgendetwas performen, aber schüchtern, das sind sie!). Ich schreie in das Megafon, dass, wenn sich doch einer von ihnen blicken lässt, bitte alle Anwesenden laut applaudieren können. Plötzlich öffnet sich eine Tür, ein Bauarbeiter tritt heraus und die Menge rastet komplett aus. Der Bauarbeiter zieht sich sichtlich überfordert in seine Container-Kammer zurück. Nur um dann ein zweites Mal in einer überwältigenden „Ich- brauche- euren- Beifall- nicht“- Performance noch einmal den Balkon abzulaufen. Alle sind begeistert, mit einem solch gekonnten und perfekt pünktlichen Auftritt hatte kein Mensch gerechnet.

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Viele Balkone und Fenster später stehen wir auf einem Gehweg, der durch einen Bauzaun zur Straße beengt ist und das Hochschauen in den dritten Stock sehr schwierig bis unmöglich macht. Die Menschen sind etwas verunsichert, wissen nicht so recht, was sie jetzt tun sollen, einige merken an, dass „niemand so was sehen kann.“. Ich verbiete explizit den Zugang zur Baustelle, betone, dass obwohl da ein Loch im Zaun ist, NIEMAND, KEINE_R unter GAR KEINEN UMSTÄNDEN und wäre die Welt gleich hinüber, diese Baustelle betreten darf. Wie das so ist im Leben, finden manche Worte wenig bis gar kein Gehirn. Und wie das so ist bei einem Altona-macht-auf-Spaziergang, machen manche Leute Fenster, Balkone und manchmal eben auch selbstbestimmt Zäune auf. Und danach ganz ordentlich wieder zu.

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„Wir gehen weiter!“, brülle ich in das Megafon und wir ziehen in Richtung Barnerstraße 16, wo das erste Mal die Gruppe drinnen ist und draußen auf dem Flachdach etwas für uns performt wird. Die beste Cover-Band „Barner 16“ spielt. Nach einem tollen Konzert gehen wir weiter. Auf dem Weg fallen uns schöne Balkone eines großen Hauses auf, zwei Frauen hinter mir sprechen spontan einen Bewohner an, der gerade den Müll rausbringt. Sie erklären ihm, warum er nächstes Jahr mit seinen Nachbarn/Nachbarinnen mitmachen soll. Ich freue mich und lache. „Ja, stimmt doch!“, sagen die Beiden, „die sollen hier 2014 aufmachen!“. Ja, denke ich, das sollten sie wirklich.

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